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Kennenlernen auf dem Fahrrad

Wolfgang Reiche im Jahr 1998 auf dem Fahrrad. Foto: privat

Nach der deutschen Einheit konnten Menschen plötzlich an Orte reisen, an denen sie noch nie zuvor gewesen waren. Viele Bewohner Westdeutschlands waren noch nie nach Ostdeutschland gereist und andersherum. Nun bot sich die Gelegenheit, neue Teile Deutschlands und die dortigen Menschen kennenzulernen. Wolfgang Reiche organisierte fast 20 Jahre lang Radtouren in die neuen Bundesländer:

„In der zweiten Jahreshälfte 1989 unternahm ich mit meinem Cousin eine mehrmonatige Radreise entlang der chinesischen Seidenstraße. Zurück nach Europa fuhren wir mit der Transsibirischen Eisenbahn. Mit dem Ost-West-Express trafen wir genau am 9. Nov. 1989 spätabends in Berlin ein und erlebten hautnah den Jubel der Ost-Berliner auf dem West-Berliner Kudamm über die sich soeben öffnende Mauer. Als ehemaliger Bürger der DDR, die ich mit 17 Jahren durch Stacheldraht und über Minenstreifen hinweg verlassen hatte, ging mir das sehr nah.
Monate später – nachdem die ersten Besucherbusse aus unserer Partnerstadt Rostock in Bremen eingetroffen waren – organisierte ich eine geführte 7-Tage-Radtour für Bremer in die noch existierende DDR nach Rostock. Viele der Teilnehmenden waren zuvor noch nie in der DDR gewesen. Sie erhielten so einen ersten hautnahen Eindruck vom Leben im anderen Teil Deutschlands. Fast 20 Jahre lang führte ich im Rahmen des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) Radtouren durch, die nur in die neuen Bundesländer (und weiter nach Osten) führten. Mein Ziel dabei: den „Altbundesbürgern“ die landschaftlichen Schönheiten der neuen Bundesländer zu zeigen und dabei auch den Alltag, den Umbruch und die damit einhergehende Unsicherheit bei vielen ehemaligen DDR-Bürgern zu thematisieren.
Schon Jahre zuvor – bald nach meiner Weltreise per Rad – hatte ich ein Übernachtungsverzeichnis auf Gegenseitigkeit für Radler geschaffen, den ADFC-DACHGEBER. Das Angebot übertrug ich gleich nach der Wende in die DDR und erhielt als Antwort eine überwältigende Zahl an neuen Mitgliedern. Sie konnten nun auf ihren Radtouren auf sehr persönliche und niederschwellige Weise Kontakt mit den Menschen im Westen aufnehmen und Einblicke in deren Alltagsleben gewinnen – fernab jeder ideologischen Einflussnahme. Manche Freundschaften kamen so zustande und werden inzwischen in zweiter Generation weitergepflegt.“

Weitere Informationen zu Herrn Reiche sind hier zu finden: Zeitzeugenbüro: Wolfgang Reiche.

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