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„Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“ – Der Ost-West-Frauenkongress 1990

Im Frühjahr 1990 wurde absehbar, dass im Zuge der Wiedervereinigung viele westdeutsche Gesetze in Ostdeutschland übernommen werden. Einige davon betrafen insbesondere Frauen und wurden sehr kritisch diskutiert. Die Frauenbewegungen wollten gesellschaftliche Freiheiten, die es in der DDR für Frauen gab, erhalten und im besten Fall auf das vereinte Deutschland ausweiten. Das betraf z. B. die hohe Beschäftigungsrate, das liberale Abtreibungsrecht und die flächendeckende Kinderbetreuung.

Zwei alte Damen gehen vor einer Wand spazieren. Darauf ist ein Graffiti gegen den § 218
Halle 1992, Graffiti gegen den § 218 in der Innenstadt; Bildnachweis: Bundesstiftung Aufarbeitung, Daniel Biskup, Bild Halle 1992

Um eine gemeinsame politische Strategie zu erarbeiten, veranstalteten verschiedene feministische Organisationen vom 27. bis 29. April 1990 den Ost-West-Frauenkongress in Ost-Berlin. Hunderte Frauen reisten dafür an, davon etwa ein Drittel aus der DDR und zwei Drittel aus West-Berlin und der Bundesrepublik.

Diskutiert wurde in verschiedenen Arbeitsgruppen, wie etwa „Arbeit/Erwerbsarbeit/Frauen und Geld“ oder „§ 218/Gen- und Reproduktionstechnologien“. Zwar bestand in vielen Punkten Einigkeit, aus den Protokollen gehen aber auch zahleiche Kontroversen hervor. 40 Jahre Teilungsgeschichte und eine Sozialisierung in vollkommen unterschiedlichen Gesellschaften brachten auch Konfliktpotential und gegenseitige Vorurteile mit sich. Bereits zu Beginn protestierten Vertreterinnen von migrantischen und People of Color-Organisationen. Sie kritisierten, dass die Auseinandersetzung mit Themen wie der zunehmenden rassistischen Gewalt in Ost und West im Kongressprogramm fehlte. Außerdem waren Lebensrealitäten von Schwarzen Frauen, Migrantinnen und Jüdinnen kaum bedacht worden.

Ein weiteres Beispiel waren die unterschiedlichen Positionen zur Teilzeitarbeit. Viele westdeutsche Frauen auf dem Kongress lehnten diese ab, da Frauen dabei verstärkt unbezahlte häusliche Sorgearbeit übernähmen. Frauen aus Ostdeutschland wiederum argumentierten, dass Vollzeitarbeit und gleichzeitige Sorgearbeit aus ihrer Erfahrung eine Mehrfachbelastung war. Sie waren für Teilzeitarbeit mit gleichzeitiger sozialer Absicherung.

Trotz der zahlreichen Konflikte und Meinungsverschiedenheiten verabschiedete das Plenum des Ost-West-Frauenkongresses das erste gemeinsame Positionspapier der Frauenbewegungen beider deutscher Staaten. Weitere Veranstalten dieser Art folgten Anfang der 1990er-Jahre, bei denen sich die west- und ostdeutsche Frauenbewegung immer weiter annäherten.

 

TIPP: Oft finden sich Zeitzeuginnen näher als gedacht. Fragt doch mal in eurem Familien- und Bekanntenkreis: Kennt ihr Frauen, die damals in den Frauenbewegungen aktiv waren? Was waren ihre Herausforderungen? Und was haben die Themen von damals mit den Forderungen von Feministinnen heute zu tun?

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